Jakob
Schmickler saß gerade auf dem Klo, als das Telefon klingelte. Das
war nichts besonderes. Irgendwie schafften es die Leute immer wieder
gerade dann anzurufen, wenn er etwas persönliches zu erledigen
hatte. Deshalb hatte er in Griffnähe einen zusätzlichen
Sprechapparat installiert. Er griff nach dem Hörer und meldete
sich routinemäßig mit „Jakob Schmickler, Ermittlungen aller Art.“
Am anderen Ende der Leitung war Eberhard Stellwart, Besitzer eines
Reiterhofes aus dem Nachbarort.
„Herr
Schmickler, ich brauche wieder mal ihre Hilfe“, tönte es aus der
Hörmuschel. „Hier auf dem Reiterhof geschehen unheimliche Dinge.
Kinder verschwinden spurlos.“
Schmickler
schluckte. Dann fragte er: „Wie genau passiert das?“
„Ich
habe im Sommer doch immer Gruppen von Ferienkindern zum Reiterurlaub
auf meinem Hof. Mit denen reiten wir fast täglich ins Gelände. Nach
jedem Ausritt läuft das letzte Pferd ohne Reiter nach Hause. Jetzt
sind schon drei Mädchen verschwunden und niemand weiß wohin. Zuerst
dachte ich, die Kinder wollen mich nur veräppeln, aber jetzt mache
ich mir wirklich Sorgen.“
„Haben
sie die Polizei verständigt?“
„Ja,
aber die sagen, sie können erst was machen, wenn die Kinder
vierundzwanzig Stunden verschwunden sind. Im übrigen tauchen die
bestimmt bald wieder auf, meinten sie.“
„Ich
komme gleich zu ihnen. In einer halben Stunde bin ich da“,
antwortete Schmickler und legte den Hörer auf.
Fast genau
nach der versprochenen Zeit stand Jakob Schmickler auf dem Reiterhof
im benachbarten Krechelheim und schüttelte einem
sorgenvollen Herrn Stellwart die Hand.
„Danke,
dass sie so schnell gekommen sind“, sagte Herr Stellwart.
„Wie
genau passiert das Verschwinden?“, fragte Schmickler.
„Nun
ja“, begann Herr Stellwart. „Wir reiten mit den Ferienkindern
aus; ich, meine Frau oder eines der älteren Mädchen die hier
Reitunterricht geben und wenn wir zurückkommen, hat das letzte Pferd
keinen Reiter mehr. Es läuft einfach so mit leerem Sattel hinter den
anderen Pferden her.“
„Reiten
sie immer dieselbe Route?“
„Nicht
immer, aber in den letzten Tagen sind wir fast nur im Harterscheid
gewesen. Die anderen Wege sind derzeit schlecht passierbar.“
„Haben
sie nur Mädchen hier oder auch Jungs?“
„Eigentlich
nur Mädchen bis etwa vierzehn Jahren. Jungs in dem Alter reiten
nicht so gerne.“
„Ist
irgendjemandem in der Gruppe etwas aufgefallen?“
„Nein,
niemand hat etwas bemerkt. Die Kinder sind wohl auch nicht
runtergefallen, denn sonst hätten sie ja gerufen, oder?“
„Wahrscheinlich“,
antwortete Schmickler. „Sind die Mädchen vielleicht freiwillig
abgestiegen?“
„Möglich,
aber warum sollten sie?“
„Das
müssen wir herausfinden. Wissen sie, wo genau die Kinder
verschwunden sind?“
„Nein,
aber wir können es ungefähr eingrenzen. Es muss auf einem kurvigen
Waldweg passiert sein. Vorher waren noch alle Kinder zusammen und
danach beginnt eine Galoppstrecke. Da schauen wir immer erst, ob alle
da sind.“
„Wie
lang ist der Waldweg?“
„Etwa
zweihundert Meter. Soll ich sie dort hinführen?“
„Ja,
fahren wir sofort los.“
Schmickler
und Herr Stellwart stiegen in Schmicklers alten Golf und fuhren los.
Nach einer viertel Stunde hatten sie den Walweg erreicht. Schmickler
parkte den Wagen und sie gingen zu Fuß weiter. Sorgfältig
betrachtete Schmickler den Weg, der sich durch das Unterholz
schlängelte. Die Ränder waren an beiden Seiten zugewachsen. Es war,
als ob man durch einen kurvigen Tunnel aus Gestrüpp lief. Schmickler
untersuchte die Ränder des Weges recht sorgfältig. Es dauerte
recht lange, bis er endlich auf ein paar umgeknickte Zweige
stieß.
„Hier
ist jemand durchgelaufen“, sagte er und zeigte auf die gebrochenen
Hölzer. Dann schob er ein paar Äste zur Seite und verschwand im
Gebüsch. Herr Stellwart folgte ihm. Gemeinsam gingen sie vorsichtig
über den weichen Waldboden. Schmickler hatte seine Augen starr auf
die Erde gerichtet und bewegte sich behände vorwärts. Nach beinahe
hundert Metern lichtete sich das Unterholz und sie erreichten einen
Weg. Schmickler betrachtete den aufgeweichten Boden. Dann entschied
er nach links zu gehen. Nach einigen hundert Metern endete der Weg
unmerklich zwischen dem Gestrüpp. Schmickler drang jedoch weiter
durch die Büsche, bis er und Herr Stellwart schließlich auf eine
kleine Lichtung mitten im Wald gelangten. Plötzlich zog Herr
Stellwart Schmickler am Arm und wies mit der Hand auf die andere
Seite der Lichtung. Sie trauten ihren Augen kaum: Dort standen zwei
Zelte! Und vor den Zelten spielten die verschwundenen Mädchen!
Die Kinder erschraken, als sie die beiden Männer bemerkten. Froh und
wütend zugleich lief Herr Stellwart auf sie zu.
„Da
seid ihr ja!“, rief er aufgeregt. „Was treibt ihr denn hier
mitten im Wald? Was ist passiert? Warum seid ihr so plötzlich
verschwunden? Wir haben uns Sorgen um euch gemacht!“
Ein wenig
betreten schauten die Kinder auf Herrn Stellwart.
„Ich
schlage vor, wir setzen uns und lassen die Kinder erzählen“, sagte
Schmickler. Die Mädchen und Herr Stellwart folgten seinem Vorschlag
und Sekunden später erzählte eine von ihnen, was passiert war.
„Wir
wollten ein paar Tage im Wald campieren, ohne Aufsicht der
Erwachsenen. Wir haben die Sachen heimlich hierher gebracht und die
Zelte aufgebaut. Dann sind wir während der Ausritte einfach
abgestiegen und haben das Pferd alleine weiterlaufen lassen.“
„Aber
Kinder!“, rief Herr Stellwart. „Ist euch eigentlich klar, was ihr
für Aufregung verursacht habt? Ich war kurz davor die Polizei und
eure Eltern anzurufen!“
„Es
tut uns sehr leid“, sagten die Mädchen ein wenig betreten. „Wir
wollten doch nur ein paar Tage für uns sein.“
Schmickler
erhob sich aus dem Gras: „Nun, da die Kinder wieder da sind, ist
meine Arbeit hier wohl erledigt. Ich schlage vor, ihr packt
eure Sachen in mein Auto und wir fahren zum Reiterhof zurück.“
Herr Stellwart nickte zustimmend. Was für ein
Glück, dass die Angelegenheit so schnell aufgeklärt werden konnte.
Nachdenklich schaute er auf Jakob Schmickler. ‚Was für ein Glück,
dass es Leute wie ihn gibt’, dachte er.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen