Montag, 4. Dezember 2017

Kuhpferde

Der Regen prasselte auf das Fenster der Dachwohnung in Bad Neuenahr. Jakob Schmickler saß an seinem Schreibtisch und starrte gebannt auf den Monitor seines Computers. In den letzten Tagen hatte dem Rechner ein Virus zu schaffen gemacht. Würde das neuaufgespielte Betriebssystem laufen? Aufgeregt griff er nach der leeren Whiskyflasche neben seinem Rechner. Er wollte einen Schluck nehmen, aber dann bemerkte er, dass die Flasche leer war. Daher also kamen diese Kopfschmerzen. Gestern Abend hatte er in einem dieser Social Media Netzwerke herumgesurft und wie der Zufall es wollte, war er auf dem Profil seiner Exfrau ge­landet. Dann fiel sein Blick auf die Whiskyflasche und der Rest ist Geschichte. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken.
„Jakob Schmickler, Ermittlungen aller Art“, meldete er sich dienstbeflissen ohne sich die Kopfschmerzen anmerken zu lassen.
„Hallo Herr Schmickler, hier ist Stellwart von Reiterhof in Krechelheim“, tönte es aus dem Hörer. „Ich brauche ihre Hilfe. Hier bei uns sind zwei Pferde verschwunden. Wir konnten die Hufspuren noch ein Stück weit verfolgen, aber dann kamen wir nicht mehr weiter. Können Sie vielleicht heute noch zu uns kommen?“
Eine halbe Stunde später schnurrte Schmicklers alter Golf die Straße nach Löhndorf hinauf. Gleich danach folgte Krechelheim. Schmickler parkte den Wagen vor dem Stall und blickte sich um. Aus einer Ecke kam Herr Stellwart angelaufen.
„Herr Schmickler, gut, dass sie da sind“, sprudelte Herr Stellwart los. „Bitte kommen sie...“
Herr Stellwart drängte Schmickler auf die obere Reithalle zu. Dahinter lagen einige Weiden.
„Was genau ist den passiert?“, fragte Schmickler im Gehen.
„Von einer der Weiden dort oben sind zwei Pferde verschwunden; wertvolle Turnierpferde wohlgemerkt. Die Spur führte runter ins Hellenbachtal und verliert sich dort.“
Sie hatten jetzt die Weide erreicht und Schmickler untersuchte den Weideneingang. Die Spuren im aufge­wühl­ten Boden waren gut zu erkennen und führten zu einem nahegelegenen Weg. Schmickler und Stellwart folgten den Spuren bis zu einem asphaltierten Feldweg.
„Dort hinten geht die Spur weiter“, sagte Herr Stellwart und zeigte in das Tal hinein. Schweigend gingen sie den geteerten Weg entlang. Aufmerksam betrachtete Schmickler den Asphalt, aber auf der harten Teerfläche war nicht viel zu sehen. An einer Stelle hielt er jedoch an.
„Was ist denn hier los gewesen?“, fragte er.
„Was meinen sie?“, fragte Herr Stellwart.
„Hier am Rand sind Reifenspuren, als ob hier ein Fahrzeug gestanden hätte. Und das Fahrzeug hatte einen Anhänger.“
„Ja, aber das kann nichts mit uns zu tun haben. Die Hufspuren gehen dort unten weiter.“
Eilig lief Herr Stellwart zu der angegebenen Stelle. Schmickler folgte ihm zögernd. An einer Abzweigung begann ein neuer, nichtasphaltierter Feldweg. Herr Stellwart wies mit dem Finger auf eine paar deutlich sichtbare Hufabdrücke.
„Hier, sehen sie? Da geht die Spur weiter.“
„Und wo führt sie hin?“, fragte Schmickler.
„Sie verliert sich dort bei der Weide, wo die Kühe stehen. Da ist der Boden recht hart. Man kann dort nicht mehr viel erkennen.“
Schmickler betrachtete den Weg. Er war an dieser Stelle von Gras überwachsen; nichteinmal die Fahr­strei­fen waren zu sehen. Schmickler untersuchte das Gras, aber es war zwecklos. Der Boden war hier einfach zu hart, um Hufabdrücke zu finden.
„Wie sieht es denn da hinten aus?“, fragte er.
„Keine Ahnung“, antwortete Herr Stellwart. „So weit bin ich nicht gegangen.“
„Schmickler lief noch ein Stück den Weg entlang. Links und rechts waren Weidezäune. Nach beinahe huntert Metern stand er vor einer großen Schlammpfütze. Hufspuren waren hier jedoch keine zu sehen. Nachdenklich drehte er sich um und ging zurück zu Herrn Stellwart.
„Merkwürdig, dort hinten ist eine große Schlammpfütze, aber keine Hufabdrücke. Wären dort zwei Pferde durchgegangen, müßte man das doch sehen können.“
Nachdenklich glitt sein Blick umher. Die Weidezäune boten keine Schlupflöcher. Die einzige Möglichkeit wäre der Zugang zur Kuhweide. Schmickler untersucht den Boden des Eingangsbereiches. Dort waren trotz einer großen Schlammpfütze erstaunlich wenige Spuren zu finden. Kurzentschlossen durchquerte er den Weidezaun und ging auf die Kühe zu. Eine Jungkuh erhob sich schwerfällig und schaute ihn besorgt an. Auch die anderen Kühe erhoben sich und blickten in seine Richtung. Schmickler ging zwischen den Kühen hin und her und betrachtete aufmerksam den Boden. In dem halbhohen Graus konnte er jedoch nichts fin­den. Schließlich drehte er sich um und steuerte wieder auf das Weidetor zu. Vor ihm lief eine Kuh, die durch seinen überraschenden Besuch hochgescheucht worden war, auf die Schlammpfütze am Eingang zu. Als das Tier die Schlammpfütze durchquerte, geschah etwas merkwürdiges: Statt der Fußspuren einer Kuh hinterließ sie Hufabdrücke! Schmickler blieb fast die Spucke weg. Schnell lief er zu dem Tier hin und hob ein Bein in die Höhe. Ein Hufeisen! Diese Kuh trug ein Hufeisen! Er winkte Herrn Stellwart heran und zeigte ihm den Fuß.
Dieser war außer sich: „Hufeisen? An einer Kuh? Das habe ich ja noch nie gesehen! Wo gibt es denn sowas?“
Schmickler untersucht die anderen Beine der Kuh. Alle waren beschlagen. Dann untersuchte er die Beine der anderen Kühe. Tatsächlich fand er eine zweite Kuh, die ebenfalls Hufeisen trug.
„Wem gehören die Kühe?“, fragte er.
„Meinen Nachbarn, den Schöffers. Ziemlich unangenehme Leute.“
„Dann passt es ja“, sagte Schmickler. „Was aber können die mit den gestohlenen Pferden anfangen?“
„Eigentlich nichts. Die Pferde sind bekannte Turnierpferde. Wenn die bei irgendeinem Rennen laufen, werden die sofort erkannt.“
„Sind es Stuten oder Wallache?“
„Hengste“, antwortete Herr Stellwart.
„Hengste? Ich wußte gar nicht, dass Hengste bei Rennen eingesetzt werden.“
„Ein guter Hengst der auch ein gutes Rennpferd ist, kann in der Pferdezucht viel Geld einbringen. Da würde sich sogar ein Diebstahl lohnen“, sagte Herr Stellwart.
„Dann, glaube ich, weiß ich, was passiert ist: Die Pferde wurden von der Weide gestohlen und weggeführt. An der Stelle auf der Straße wo die Reifenspuren sind wurden sie in einen Hänger verladen. Statt ihrer wur­den zwei Kühe weitergeführt, die mit dem Hänger dorthin gebracht worden waren. Zur Tarnung hatte man den Kühen Hufeisen angelegt, damit sie eine falsche Fährte legen würden. Leider haben die Täter vergessen die Eisen wieder zu entfernen. Sie brauchen jetzt nur noch die Polizei anrufen und denen die Kühe zu zeigen.“
Am nächsten Tag, als Schmickler wieder an seinem Schreibtisch saß, klingelte erneut das Telefon. Am Apparat war Herr Stellwart.
„Herr Schmickler, ich wollte mich ganz herzlich für ihre Hilfe bedanken. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft die Pferde wieder zu bekommen. Die Tiere sollten tatsächlich für die Zucht irgendwo in Osteuropa eingesetzt werden. Aber jetzt sind sie wieder da.“
„Gerne geschehen“, antwortete Schmickler. „Und wenn sie mich wieder brauchen, wissen sie, wo sie mich finden.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen